Outdoor-Ausrüster: Der Berg boomt | Wirtschaft | ZEIT ONLINE

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Der Berg boomt

Der Grazer Outdoor-Ausrüster Northland ist in Österreich kaum bekannt. Doch in China ist die Marke längst eine Macht. Nun will man richtig hoch hinaus.
Immer wieder fährt sich Arno Pichler mit den gespreizten Fingern beider Hände durch sein halblanges Haar. Der Mann steht unter Strom. Kein Zweifel. Am liebsten wäre der Chef des Outdoor-Ausrüsters Northland jetzt draußen in der Natur, um mit dem Mountainbike über die Hohlwege zu jagen.
Gleich hinter der neuen Firmenzentrale im Grazer Stadtteil Geidorf steigen jene Hügel auf, die er jeden Tag während der Mittagszeit eine Stunde lang niederkämpft. Einfach herumzusitzen nervt ihn. Das »Gequatsche«, wie er es nennt, dauere schon viel zu lange. Dennoch hält der braun gebrannte 41-Jährige durch, der Marke zuliebe. Einer Marke, die in China jedem Bergsportler und Outdoorfan ein Begriff ist. Der Spezialkonfektionär stieg innerhalb von fünf Jahren zum drittgrößten Erzeuger von Klamotten für Naturburschen auf, bald will man im Reich der Mitte Marktführer sein. Auch in Südamerika und Europa expandiert die Firma. Heute gibt es Northland-Niederlassungen in 36 Ländern. Ausgerechnet in Österreich, am Heimmarkt, führen die Steirer ein Nischendasein. Da sind andere erfolgreicher und bekannter, was Arno Pichler bloß mit markigen Sprüchen kommentiert. »Ich hasse Netzwerken, das Unwort des Jahrtausends.« Warum seine Marke in Österreich kaum jemand kennt? »Marketingmenschen waren für mich immer Warmlufterzeuger. Da schalte ich lieber die Heizung höher.«
Nein, dieser Mann hält sich nicht lange mit gedrechselten Sätzen aus dem Managementlehrbuch auf. Pichler, ein ehemaliger Profisportler, ist als Unternehmer ein Autodidakt. Was er kann, hat er sich selbst beigebracht. Nun will er der Outdoorbranche beibringen, dass Northland schon bald einer der ganz Großen sein wird.
Als Pichlers Vater Gerwalt die Firma 1973 in Graz gründete, gab es den Begriff Outdoor noch nicht. Wander- und Kletterbekleidung war etwas für Freizeitsportler oder professionelle Bergfexe, eine Spezialkluft gegen die Widrigkeiten der Natur. Arno Pichler: »Wer damals in der Stadt mit einer Bergsteigerjacke auftauchte, war entweder Förster oder ein rot bestrumpftes Wanderschwein.« Heute ist Outdoor eine Lebenseinstellung. Ganz selbstverständlich streifen Geschäftsmänner multifunktionale Softshelljacken über ihre Anzüge, Studenten stapfen in Trekkingschuhen zur Vorlesung. Mit teurer Hightechkleidung signalisiert man Naturverbundenheit inmitten der Asphaltwüste. Eine Lifestyle-Attitüde, die bei den Herstellern die Kassen klingeln lässt. Seit Jahren boomt das Segment, annähernd 6,5 Milliarden Euro wurden 2009 allein in Europa umgesetzt, schätzt der Branchenverband. Selbst während der Rezession knickte der Markt nicht ein. Jack Wolfskin aus Hessen, mit einem Europa-Umsatz von 251 Millionen Euro Nummer eins, wächst seit Jahren zweistellig. Northland gibt Zahlen nur für den deutschsprachigen Raum bekannt. Mit 35 Millionen Euro und einem für 2010 erwarteten Plus von fünf Prozent bleiben die Grazer im Branchenvergleich eher im Basislager.
Der Vater des Firmenchefs brachte einst das Iglu-Zelt nach Europa
Doch in China wuchs man im vergangenen Geschäftsjahr um 16 Prozent. Jetzt schon werden eigens für den asiatischen Markt kreierte Jacken, Skihosen und Schuhe, Ruck- und Schlafsäcke, in 400 Northland-Shops vertrieben, bis 2012 sollen 600 dazu kommen. Sogar ein Börsengang ist in China geplant. Eine Expansion, die das Familienunternehmen, das in Österreich gerade einmal 200 Mitarbeiter beschäftigt, seinen chinesischen Lizenznehmern verdankt: Gegen einen Anteil vom Umsatz und auf eigenes Risiko vertreiben sie die Ware. Mit dem gleichen Geschäftsmodell will Pichler die Marke auch auf den US-Markt bringen und binnen zehn Jahren in Europa an die Börse gehen.
Mut und Risikobereitschaft waren es auch, die Arno Pichlers Vater angetrieben haben. Anfang der Siebziger, mit 40 Jahren, schmiss der passionierte Bergsteiger seinen Job als Manager bei einer Betonfirma hin, um sein Hobby zum Beruf zu machen. Fortan organisierte er Touren zu den anspruchsvollsten Kletterregionen der Welt. Bei einer dieser Trecks, der Besteigung des Aconcagua, des höchsten Berges Südamerikas, stieß er auf ein Zelt, in dem ein toter japanischer Bergsteiger lag. Pichler barg den Leichnam – und war gleichzeitig davon fasziniert, dass das seltsam geformte Zelt ein Jahr lang Schneestürmen und eisigen Minusgraden unbeschädigt getrotzt hatte.
Neugierig geworden, suchte Pichler den Hersteller in Japan auf. Was der Österreicher nicht wusste: Der Erfinder war der Onkel des verunglückten Bergsteigers. Zum Dank für die Bergung seines Neffen gestattete er Pichler, seine Innovation in Europa zu verkaufen: das Kuppelzelt, jenen Zelttyp, der zur Grundausrüstung jedes Bergsteigers und Campers werden sollte. Nachdem Pichler das Stoff-Iglu nach Europa gebracht hatte, beschloss er, die Ausrüstung für seine Expeditionen künftig selbst zu entwerfen und zu produzieren. Als Markenname wählte er eine seiner Lieblingsregionen. Northland, den nördlichsten Zipfel Neuseelands.


Es ist eine schöne Geschichte, die Arno Pichler gern erzählt. Er hat sogar einige Devotionalien wie ein Steigeisen seines Vaters in den Holztisch einarbeiten lassen, an dem er Kunden und Geschäftspartner empfängt. Tatsächlich hat die Firma, die der Sohn nun seit 16 Jahren führt, kaum mehr etwas mit jener zu tun, die Pichler senior ihm hinterließ. Als der frisch diplomierte Sportwissenschaftler mit 23 Jahren das Unternehmen übernahm, erkannte er schnell, dass er eigene Wege gehen muss. Die Kunden seines Vaters gaben dem blonden Jungspund mit seinen selbst gebastelten Katalogen und schlecht sitzenden Krawatten nicht einmal einen Termin. Doch Pichler war zäh. Auf dem Mountainbike, beim Motocross oder Eishockey hatte er gelernt, dass man auch nach einem Knochenbruch weitermachen, es besser machen muss.
Mit einer Designerin peppte er die Kollektion auf und wurde in großen Modehäusern vorstellig. Der hemdsärmelige Steirer kam über die distinguierten Herren in den Einkaufsabteilungen wie eine Naturgewalt. »Ich habe selten jemanden getroffen, der sein Produkt mit so viel Herzblut und Leidenschaft präsentiert«, erinnert sich ein Geschäftspartner von damals. Schicke Kleidung mit Outdoorfunktion zu guten Konditionen – damit konnte der Junior bei den Modeketten punkten. Im Sporthandel kam die schicke Ware jedoch weniger gut an. »Der Weg in die Mode war eine riskante Strategie«, analysiert ein Branchenkenner, »Modehäuser brauchen günstige, sportliche Kleidung ohne viel technischen Schnickschnack. Damit macht man sich im Sport unglaubwürdig.« Ohne den Image-Transfer vom Spitzen- in den Breitensport blieb Northland lange eine graue Maus. Dennoch hat man die aufwendige Extremsportlinie nie aufgegeben. Heute wird die Profijacke um 500 Euro in den eigenen Shops verkauft, die trendige Jacke um 99 Euro gibt’s im Modehaus.
Die Doppelstrategie scheint aufzugehen. Doch für das weitere Wachstum benötigt das Familienunternehmen einen Partner. Bislang befindet sich in der von mittelständischen Firmen geprägten Branche nur Jack Wolfskin in der Hand von Beteiligungsgesellschaften. Auch Arno Pichler liegen Finanzierungsangebote vor. Theoretisch zumindest. »Es gibt genug Leute, die einen Doofen suchen, der für sie die Arbeit macht. Aber du bist der, der den Karren zieht und sich die Peitsche auf den Rücken knallen lassen kann«, ätzt er. Jack Wolfskin nacheifern will er jedenfalls nicht. »Die werden irgendwann verglimmen, sie kriegt man ja mittlerweile an jeder Dönerbude.«
So undiplomatisch sich Pichler nach außen gibt, so familiär wirkt er nach innen. Der Vater zweier Kinder sitzt in einem Großraumbüro unter seinen Mitarbeitern, von denen er die meisten duzt. Die Steigerung von super lautet hier »supersuper« oder »weltklasse«. Northland und Sport, Geschäftliches und Privates – das ist für Arno Pichler eins. Seine zweite Frau Claudia arbeitet in der Firma, die Schwester kümmert sich um Personal und Finanzen. Als Northland zuletzt den Firmensitz von einem schäbigen Hinterhof in eine geschmackvolle Villa verlegte, engagierte der Geschäftsführer keine Umzugsfirma. Die Mitarbeiter packten selbst an – angeblich gern. Zum Dank bekommen sie demnächst Natursee, Sporthalle und Kletterfelsen aufs Firmenareal. Papa Pichler sorgt für seine Familie.


Mit der Outdoor-Marke Northland ganz nach oben. Claudia und Arno Pichler

Auf dem Weg zum Global Player sind soziale Standards eher nachrangig

Weniger rührend kümmert sich der Aufsteigertyp offenbar um jene Arbeiter, die in China oder Indien seine Kleidung produzieren. Die internationale Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign) hat in einer aktuellen Studie die sozialen und arbeitsrechtlichen Standards der Hersteller von Outdoorkleidung unter die Lupe genommen. Während viele Mitbewerber einander mit Aktionen zur sozialen Verantwortung überbieten, ignorierte Arno Pichler zunächst die Aufforderung, die Produktionsbedingungen in den Fabriken offenzulegen. »Ich mache doch keinen Striptease, damit ich ein Mitarbeit-Plus wie in der Schule bekomme.« Dass Northland sich letztlich doch kooperativ gezeigt hat, ist das einzig Positive, was in der Studie über das Unternehmen vermerkt wird.
Dass seine Firma damit die Standards einer Branche unterläuft, die auf ein politisch korrektes, naturbelassenes Image setzt, ficht Pichler nicht an. Für ihn sind all die Zertifikate Marketinggags, auf die er auf seinem Weg zum Global Player verzichten kann. Nicht auf seine tägliche Mountainbike-Tour hingegen. Auch heute nicht. Behände schlüpft er in eine rote Daunenjacke, die aus seiner Kollektion stammt, schwingt sich auf sein Bike und strampelt energisch den Berg hoch. Kurz darauf ist der leuchtende Punkt im Wald verschwunden.

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